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Poetry on the Front Line: Kirill Medvedev and a New Russian Poetic Avant-garde

Marijeta Bozovic


Seiten 89 - 118



In den letzten beiden Jahren achteten Literaturkritik und internationales Publikum zusehends auf eine herausstechende Stimme, die Moskauer Literaturkreisen seit den frühen 2000er Jahren vertraut war – die des politisch engagierten Dichters, Aktivisten und Musikers Kirill Medvedev. Dieser ist gleichermaßen bekannt für sein Nicht-Schreiben wie für seine Verse; 2003 wandte er sich mit einer Reihe programmatischer Erklärungen von den Institutionen des Literaturbetriebs ab, um 2006 anzukündigen, dass er fünf Jahre lang gänzlich aufhören werde zu schreiben. Der vorliegende Beitrag liest Medvedevs dichterische und politische Aktionen durch das Prisma der Avantgarde als zusammenhängendes Projekt. Medvedev erscheint so als ästhetischer Produzent, der es ablehnt, am Literaturbetrieb und den Institutionen, die kulturelles Kapitel verwalten, mitzuwirken, der ein Copyright auf Online-Publikation genauso ablehnt wie für Veröffentlichungen in renommierten Verlagen, um sich stattdessen den namenlosen Graphomanen anzuschließen, die auf LiveJournal und Facebook posten. Seine Gedichte, Essays und Manifeste sowie die anderen transverbalen Medien wie Musik, Video- und Aktionskunst, in die seine Verse hineindiffundieren, stellen die Autorität literarischer und künstlerischer Institutionen gezielt in Frage. Von theoretischen Antworten auf die Frage ausgehend, ob es eine künftige Avantgarde geben kann, untersucht der Beitrag ein neues avantgardistisches Projekt, das zugleich transnational und russisch ist, denn Kirill Medvedevs Poetik kann lediglich im Kontext der dramatischen Utopielosigkeit des heutigen Russland verstanden werden. Medvedevs Collage aus Dichtung, Literaturkritik und Aktionen hebt sich von einem Milieu ab, das es verlernt hat zu träumen. Ist die Rückkehr des Verdrängten hier dann nicht die Wiederaufnahme russischer avantgardistischer Projekte, gelesen durch das Prisma westlicher marxistischer Theorie, die ihrerseits einst so stark von der historischen russischen Avantgarde beeinfl usst war, in einer weiteren dialektischen Wendung? Medvedev spürt alte Potenziale neu auf, indem er nach Zwischenräumen und Rissen sucht, in denen Protest, Opposition und utopisches Denken möglich bleiben.

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